15.3.12

Merkmale des Film Noir

Die Vorläufer des Film Noirs sind die Filme des deutschen Expressionismus, die französischen Filme des poetische Realismus, sowie der amerikanische Gangsterfilm der 30er Jahre. Film Noirs entstanden zumeist aus literarischen Vorlagen wie dem Detektivroman und Hard-Boiled Romanen, von Autoren wie Dashiell Hammett (Die Spur des Falken, Millers Crossing), Raymond Chandler (Tote schlafen fest 1946, die Dame im See 1947), James M. Cain (Frau ohne Gewissen 1944, Im Netz der Leidenschaften 1946, Besessenheit 1943), Cornell Woolrich mit den Pseudonymen George Hopley und William Irish (Das Fenster zum Hof 1954) um hier einige zu nennen. Der Stil wurde entscheidend von europäischen Emigranten geprägt, wodurch das Genre unter vielschichtigen Einflüssen steht. Unter anderem trugen Regisseure wie Fritz Lang (Metropolis 1927, Dr. Mabuse 1921/1922, M – eine Stadt sucht einen Mörder 1931) zur Entstehung der schwarzen Serie bei, weil sie entscheidende Einflüsse aus dem deutschen Expressionismus in die neuen Filme einfließen ließen. Denn Hollywood war nicht immer das Zentrum des Films gewesen. In Deutschland fand sich vor dem dritten Reich eine renommierte Filmszene, die auch international erfolgreich war. So erlebte der deutsche Expressionismus in den amerikanischen Film Noir der 40er und 50er Jahre nochmals eine Renaissance, nachdem dieser in Deutschland nach und nach von der Neuen Sachlichkeit abgelöst wurde. Die Stilmittel bedingen sich gegenseitig im Film Noir. Der Inhalt ist eng mit der Form verwoben. Wenn man hier beispielsweise an die emotionale Aufladung der Darstellung im Expressionismus denkt. Im Weiteren sollen hier nun die einzelnen Stilmittel im Film Noir kurz vorgestellt werden. Dabei handelt es sich keineswegs um verbindliche Merkmale des Genres, sondern um einen Querschnitt durch den Großteil der Filme.

Erzähltechnik

Die Erzähltechnik im klassischen Noir verläuft alles andere als geradlinig. Hierbei sind verschiedenste Abschweifungen und zeitliche Neuanordnung der Handlung möglich. Die Mittel der Erzähltechnik sind vielfältig. Einige Filme arbeiten damit, ganz eigene Muster der Erzählung zu entwickeln, beispielsweise springt der Fokus von Person zu Person, sodass viele einzelne Bruchstücke in einer scheinbar zufälligen Anordnung aufeinandertreffen und eine Geschichte bilden. In der Regel wird aber so gearbeitet, dass am Ende der Erzählung immer ein hoher Grad an Abhängigkeit zwischen den einzelnen Schicksalen der Figuren deutlich wird, die zunächst dem Zuschauer verborgen blieb. Die Erzählung ist zumeist von Sprunghaftigkeit und überraschenden Wendungen geprägt, die sich manchmal jedoch in symbolhafter Weise ankündigen. Einigen dürfte diese Schicksalhaftigkeit und Vorausdeutung aus der literarischen Gattung der Novelle bekannt sein. Des Weiteren kann man den Erzählstil als naturalistisch bezeichnen. Es spiegelt sich immer eine gewisse Determiniertheit der Personen durch ihre Umwelt, dem sozialen Milieu und ihrer Geschichte wider. Aus diesem Grund wird oft mit Rückblenden gearbeitet, wodurch die Geschehnisse noch schicksalhafter und vorherbestimmter wirken. Ein weiteres typisches Erzählmittel ist die Off-Erzählung und der Kommentar, wodurch eine starke Subjektivierung der Handlung beim Zuschauer erreicht wird, was wiederum zu einer stärkeren Identifizierung mit der Hauptfigur führt und die Handlung nebenbei emotional auflädt.

filmische Darstellung

expressiver StilDie klassischen Filme des Noir-Genres (40er bis 50er Jahre) sind üblicherweise in schwarz-weiß. Das liegt vordergründig nicht an der Technik, denn zu dieser Zeit wurde bereits ausgiebig mit Farbtechnik wie Technicolor gearbeitet. Die Darstellung in schwarz-weiß ist vielmehr einem Streben nach Abstraktion geschuldet. Außerdem unterstreicht sie die Kälte und Härte des Genres und erlaubt ausufernde Spiele mit Licht und Schatten. In der Wiederaufnahme von Stilmitteln des Noir im Neo-Noir finden sich jedoch auch oftmals farbige Filme, die trotzdem dieses Genre bedienen. Dabei sollte klar werden, dass ein Film nicht gleich ein Noir ist, nur weil er in schwarz-weiß gedreht ist, denn schließlich bedeutet das Wort Noir einfach nur schwarz oder dunkel, was einen solchen Irrtum relativ nahe legt. Zu modernen Film Noir, sogenannten Neo-Noirs kann man beispielsweise die Filme von David Lynch zählen, wobei er aber stark mit dem Surrealismus und dem Roadmovie sympathisiert. Auch diese farbigen Filme sind in der Lage die Thematik des Noir aufzugreifen und eine schwarze Weltanschauung zu konstruieren, auch ohne die Reduktion auf schwarz-weiß. Die Darstellung im Film Noir ist stark Subjektiviert und wird beispielsweise durch schrullige Jazzmusik oder der Überpräsenz von Geräuschen untermalt. Doch das macht schließlich noch keinen Noir aus. Ein weiteres wichtiges Stilmittel filmischer Umsetzung ist die eigentümliche Lichtgestaltung. Sie betont die Gegensätze, steht für Ambivalenz. Figuren wird keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, man macht im Wesentlichen keinen Unterschied bei der Darstellung von Personen oder Räumen. Übliche Formen der Ausleuchtung wie das Führungslicht fehlen im Film Noir. Dadurch erscheinen Menschen mehr verdinglicht, da ihnen die gleiche Aufmerksamkeit zukommt wie dem Raum in dem sie agieren. So sind Schatten, Silhouetten von Menschen und Gegenständen wie Jalousien, Treppen und Gittern zum festen Bestandteil des Genres geworden. Weiterhin bevorzugt der Film das Seitenlicht wodurch ein besonderer Kontrast erreicht wird und die Person erscheint noch irrealer. Eine weitere Eigentümlichkeit im Film Noir ist die Überdramatisierung von eigentlich neutralen Szenen. Diese Art der Darstellung lässt die Handlung unwirklich und surreal erscheinen. Die Kameraführung bevorzugt unnatürliche Linien, sie arbeitet beispielsweise mit Diagonalen Fahrten über die Personen hinweg, als würde sie nur ein zufälliger Blick treffen und sich dem Zuschauer als Zerrbild der Wirklichkeit bieten. Oftmals wird der Horizont verstellt durch übergroße Gegenstände wodurch dem Zuschauer die Tiefenwirkung der Bilder abhandenkommt. Dies lässt die Handlung irreal bis absurd wirken. Insgesamt arbeitet die Darstellung in enger Zusammenarbeit mit dem Inhalt, sie repräsentiert sich als Teil von diesem und umgekehrt. Die Darstellung ermöglicht weiterhin eine Psychologisierung der Personen und unterstreicht damit auch inhaltliche Aspekte wie die Charakterisierung der Personen.

Motive


Großstadt und FilmZu den Motiven der Darstellung gehören Krisen gesellschaftlicher Art wie sie vor allem in der Nachkriegszeit der 40er Jahre zu gegen waren. Damit war der Noir ein Genre, das sich hoch aktueller Themen bediente und diese auf die Leinwand brachte. Häufige Themen sind Verbrechen, Unglück, Schicksal, Entfremdung und Verunsicherung. In der amerikanischen Ausprägung findet sich häufig eine Verkehrung des „american way of life“. Statt des Erfolges wartet auf die Figuren der soziale Abstieg, Misserfolge und schließlich der Untergang. Dargestellt wird ein Irrweg durch das Leben, der letztendlich niemals zum Ziel führt. Man kann hier von einer sehr pessimistischen Weltsicht ausgehen, jedoch ohne dass sich die Figur bewusst der Passivität hingibt und sich seinem Untergang bewusst ist. Es sind Charaktere, die stets einen Lichtblick haben oder es glauben, der aber nie zum Erfolg führen wird, weil sich die Wirklichkeit hier als ein Vexierspiel von Trugbildern präsentiert, hinter denen immer nur der Untergang wartet, ganz gleich welche Anstrengungen der Mensch auf sich nimmt. Wahrheit und Lüge sind zu einer Einheit verschmolzen. Eine Objektivierung der Verhältnisse ist unmöglich. Die Themen entstammen auch nicht selten der Trivialliteratur und bieten an sich keinen großen literarischen Anspruch. Denn der Fokus im Noir liegt nicht zwangsweise auf dem Inhalt, sondern vielmehr auf der Darstellung und Inszenierung.

Schauplätze


Grossstadt, Film, NoirZu den Schauplätzen des Noir zählt definitiv die Großstadt. Sie ist das Schaubild aller Laster, die den Menschen in den Schlund des Verderbens ziehen. Der Boden der Großstadt ist übersät von schmutzigem Geld, Sex, Intrigen und Verbrechen und die Helden des Noir bleiben schlichtweg kleben. Egal wie schnell sie versuchen werden aus der Stadt zu rennen, sie werden sich keinen Meter aus ihr hinaus bewegen können. Eine sehr gute Szene dieser Art wird in "Die Explosion des Schweigens" abgebildet. Die Schauplätze sind nicht die schönen Plätze der Stadt wie etwa die Boulevards. Der Noir spielt sich in Hinterhöfen, auf Feuerleitern, schäbigen Hotels, Lagerhallen, Häfen und Bars ab. Dabei spiegeln die Schauplätze nicht selten auch die Gefühlslage der Figuren wieder. So wird das alte Hafengelände in dem der Held umherirrt zum psychologischen Schauplatz, zum Austragungsort innerer und äußerer Spannungen.

Figuren


Die typischen Charaktere des Noir sind von ihrem Geschlecht bestimmt. Typischerweise findet man eine Femme fatale und einen Mann, der sich in ihrem Netz aus Verführung verirrt hat, oder ihr auf durchdringende Weise widersteht. Die Frauen des Film Noir, die man wegen ihrer intriganten Art und Verruchtheit auch Femme fatales nennt, sind berühmt geworden durch das Noir-Genre. Sie sind egoistisch, spinnen Intrigen, selbstbewusst, erotisch, verführerisch und schrecken nicht vor Mord und Verbrechen zurück. Ihr Ehrgeiz bei der Durchsetzung ihrer Ziele reicht bis zur absoluten Selbstaufgabe. Dieser Frauentypus hat sich bereits in den Jahren der Weimarer Republik herausgebildet und steht stellvertretend für das neu erwachte Selbstbewusstsein der Frauen.
Der Männertypus im Noir ist zweierlei. Dabei handelt es sich stets um zwielichtige Helden, die sich durch hohe Ambivalenz auszeichnen. Sie sind nie nur gut oder böse. Ein solcher Typus ist der starke Held, dem es gelingt sich aus dem Fangnetz der Femme fatale fernzuhalten, aber schließlich der Konfrontation mit den harten Seiten des Lebens erliegt. Er benutzt Menschen, insbesondere die Frauen, oder bedient sich fragwürdigen Mitteln bei der Durchsetzung seiner Ziele, die ihn zu einem besseren Leben führen sollen. Der zweite Typus ist der häufigere. Er ist schwach, ein Opfer, neurotisch, orientierungslos, erreicht fast nie seine Ziele, ist ein Einzelgänger, ein gebrochener Mensch, gescheitert, pessimistisch und ausgeliefert. Er verfällt zumeist den Verführungen und Intrigen der Frauen, manchmal schon nach ihrer ersten Begegnung. Die klassische Rolle zwischen Mann und Frau verkehrt sich hier ins Gegenteil und die Frauen machen von ihren Waffen ausgiebig Gebrauch.

[1] Heinzlmeier, Adolf: Kino der Nacht. Hollywoods schwarze Serie. Zürich: Rasch und Röhring 1985.
[2] Grob, Norbert (Hg,); Filmgenres. Film Noir. Stuttgart: Reclam junior 2008.

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